Abgrenzung Roter Gebiete Niedersachsen

Autor:in

Henning Kage

Veröffentlichungsdatum

15. August 2025

1 Hintergrund

Bei dem Versuch, die Methodik der Ausweisung der Gebietskulisse Nitrat (“rote Gebiete”) nachzuvollziehen und zu bewerten, stieß der Autor auf Abweichungen zwischen der dokumentierten Methodik und den Ergebnissen eigener Auswertungen auf der Grundlage vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt (MUN) an den Autor übermittelter Daten. Am 26.3.2025 stellte der Autor erste Ergebnisse per Mail Herrn Dieter de Vries vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz vor (NLWKN) vor, der als Experte vom MUN benannt wurde und bat um eine Stellungnahme zu den Ursachen der Abweichungen. Auch nach erneuter Aufforderung am 31.3.2025 erhielt der Autor bisher keine Antwort. Im weiteren nahm der Autor Kontakt zu Herrn Dr. Frank Schmädeke (CDU) auf, der am 12.5.2025 eine kleine Anfrage an die Landesregierung stellte, um die Methodik der Ausweisung Roter Gebiete in Niedersachsen näher zu beleuchten.

Die Anfrage wurde in Drucksache 19/7526 beantwortet. Im Anhang der Antwort auf die kleine Anfrage wurden Daten übermittelt, welche für die Ausweisung Roter Gebiete in Niedersachsen herangezogen wurden. Diese Daten wurden vom Autor aus dem PDF-Format in eine Excel-Tabelle umgewandelt und mit den Daten verglichen, welche der Autor vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz (Frau Ulrike Lipkow) per Mail am 30.10.2024 erhalten hat.

Der Datensatz “Anfrage” enthält Daten von 359 Einträgen, der Datensatz “MUN” enthält Daten von 981 Einträgen. Insofern ist der Datensatz “Anfrage” kleiner als der Datensatz “MUN” bzw. unvollständig. Ansonsten stimmen die Daten im Hinblick auf die übermittelten Nitratwerte überein (Abbildung 1), wobei unter Nitratwert die Summe von Mittelwert gemessener Jahreshöchstwerte Nitrat der Jahre 2018 - 2021 und dem per N2-Argon-Methode berechneten N2-Exzess verstanden wird. Hierzu §3 Absatz 2 der AVVGeA:

Bei mehreren Konzentrationsangaben an einer Messstelle innerhalb eines Kalenderjahres ist der Jahreshöchstwert zu verwenden. Für die Bewertung nach Absatz 1 sind die nach Satz 1 ermittelten Jahreshöchstwerte der vier vorangegangenen Kalenderjahre zu einem arithmetischen Mittelwert zusammenzufassen. Unplausible einzelne Messergebnisse einer Messstelle dürfen abweichend von Satz 1 nicht berücksichtigt werden. Unplausible Ergebnisse sind insbesondere Messunsicherheiten, offensichtliche Messfehler und nicht aus der Sache erklärbare gravierende Abweichungen gegenüber anderen Messergebnissen. Sollten, insbesondere bei neu errichteten Messstellen oder Messstellen mit denitrifizierenden Verhältnissen im Sinne des Absatzes 3 Satz 3, innerhalb des Betrachtungszeitraums nur Einzelwerte zur Verfügung stehen, können diese dann verwendet werden, wenn sie keine Ausreißer für die Region darstellen.

Aus naturwissenschaftlich-statistischer Sicht ist diese Vorhensweise fragwürdig, da Messfehler und Messunsicherheiten automatisch zu einer Überschätzung der tatsächlichen Nitratwerte führen. Ebenso kann bei der N2-Argon-Methode nicht ausgeschlossen werden, dass die Messungen fehlerhaft sind. Insofern ist die Ausweisung Roter Gebiete in Niedersachsen auf Basis der übermittelten Daten kritisch zu hinterfragen.

Abbildung 1: 1/1 Scatterplot der Nitratwerte aus der Beantwortung der kleinen Anfrage und der vom MUN übermittelten Nitratwerten. Die Kurven an den Achsen bezeichnen die Häufigkeitsdichte der jeweiligen Werte.

2 Nitratwerte/N2-Argon-Methode

Die N2-Argon-Methode ist eine Methode zur Bestimmung des N2-Exzesses. Dieser wird aus den Messungen von N2-Argon-Verhältnissen in Grundwasserproben berechnet. Diese Methode wird verwendet, um den Einfluss von anthropogenen Einträgen von Stickstoff in das Grundwasser auch nach bereits teilweise oder vollständig abgelaufener Denitrifikation zu ermitteln. Bei der Denitrifikation wird Nitrat (NO3) zu Stickstoff (N2) reduziert, was zu einem Anstieg des N2-Argon-Verhältnisses führt. Die N2-Argon-Methode ermöglicht es daher, den bereits abgelaufenen Nitratabbau durch Denitrifikation zu quantifizieren. In Niedersachsen wurden diese ermittelten N2-Exzesse in die Nitratwerte der Jahre 2018 - 2021 einberechnet und für die Ausweisung Roter Gebiete herangezogen.

Von den 359 Einträgen in der Tabelle “Anfrage” enthielten 130 einen berechneten N2-Exzess, der auf die Nitratwerte hinzuaddiert wurde. Der mittlere N2-Exzess betrug dabei 49.81 mg NO3/l. Im Verleich dazu lag der mittlere Maximalwert gemessener Nitratkonzentrationen im gesamten Datensatz “Anfrage” bei 66.71 mg NO3/l und im Teildatensatz mit vorliegenden N2-Exczesmessungen bei 25 mg NO3/l. Der Effekt der Hinzuziehung der N2-Argon-Methode auf die Nitratwerte ist also erheblich. Je Messstelle wurden im Mittel 1.2 N2-Argon-Messungen durchgeführt. Inwieweit hiermit ausreichend geprüft werden kann, ob ein einzelner Messwert typisch für einen Grundwasserkörper ist, erscheint fraglich.

Eine tiefergreifende Bewertung der Bedeutung der N2-Argon-Methode für die Ausweisung Roter Gebiete in Niedersachsen ist jedoch nicht möglich, da die im Rahmen der kleinen Anfrage übermittelten Daten zu N2-Argon-Messungen nicht vollständig sind und diese Werte sonst nicht öffentlich zugänglich sind.

3 Effekt der Verwendung von Nitratwert im Vergleich zu Mittelwerten gemessener Nitratkonzentrationen

Unter Verwendung der Messdaten des WRRL-Messnetzes Niedersachsen wurden Mittelwerte gemessener Nitratkonzentrationen für die Jahre 2018 - 2021 gebildet. Die gemittelten Nitratwerte weisen einen Anteil von Messstellen > 50 mg berechnetem Nitrat/l von 29.26% im Vergleich zu einem Anteil von Messstellen mit Mittelwerten gemessener Nitratkonzentrationen > 50 mg NO3/l von 19.76% auf. Die entsprechende Häufigkeitsverteilung der beiden Werte ist in Abbildung Abbildung 2 dargestellt. Es stellt sich eine deutlich linksschiefe Verteilung der Messdaten bzw. der errechneten Nitratwerte dar. Dies ist auch insofern von Bedeutung als viele statistische Verfahren, z.B. Trendberechnungen mittels linearer Regression auf der Annahme einer Normalverteilung beruhen. Diese Annahme ist für die Daten der gemessenen Nitratkonzentrationen bzw. der erreichneten Nitratwerte offenbar nicht erfüllt.

Abbildung 2: Histogramm des maßgeblichen Nitratwertes und der Mittelwerte gemessener Nitratkonzentrationen im WRRL-Messnetz Niedersachsen von 2018 - 2021

4 Messstellen mit Nitratkonzentrationen größer 37,5 mg NO3/l und steigender Tendenz

Nach Auskunft der Landesregierung auf die kleine Anfrage wurden in Niedersachsen 4 Messstellen mit Nitratkonzentrationen größer 37,5 mg NO3/l und steigender Tendenz identifiziert. Diese Messstellen sind in der Tabelle “Daten_MUN_ID37_5.csv” enthalten. Nach Verständnis des Autors ist nur für diese Messstellen die 37,5 mg NO3/l Isolinie maßgeblich für die Ausweisung Roter Gebiete.

Tabelle 1
ID Name X Y Nitratwert
40003617 Almstedt 32565753 5765392 41.76
40002952 Hagen: 488 32528279 5829031 45.93
400087831 Hepstedt UWO 83 FI 32506410 5902291 45.85
100003884 Rade I 2 32620818 5843489 38.24

5 Interpolation

In Niedersachsen erfolge die Ausweisung der “Roten Gebiete” auf Basis der maßgeblichen Nitratwerte und einem geostatistischen Interpolationsverfahren, welches eine IDW-(inverse distance)-Wichtung verwendet. Bei der Interpolation wurde seitens des Landes Niedersachsens die Software ArcGis Pro verwendet. Im Detail wurde ein variabler Suchradius mit 12 Punkten, einer Ausgabe-Zellgröße von 100 und der Potenz 2 angewendet. Details der verwendeten Methodik sind in der Methodenbeschreibung des NLWKN (https://sla.niedersachsen.de/mapbender_sla/download/20230622_Methodenbeschreibung_AVV_GeA.pdf) zu finden.

In Abbildung 3 ist das Ergebnis der Interpolation der maßgeblichen Nitratwerte durch das NLWKN dargestellt. Dargestellt als gelbe bzw. rote Linien sind die interpolierten 37,5 bzw. 50 mg NO3/l Isolinien.

Abbildung 3: Ergebnis der Interpolation der maßgeblichen Nitratwerte durch das NLWKN. Dargestellt als gelbe bzw. rote Linien sind die interpolierten 37,5 bzw. 50 mg NO3/l Isolinien. Quelle:https://sla.niedersachsen.de/mapbender_sla/download/20230622_Methodenbeschreibung_AVV_GeA.pdf

6 Vergleich mit der Ausweisung roter Gebiete

Durch Georeferenzierung der entsprechenden Bilddatei kann diese NLWKN-eigene Interpolation mit der Gebietskulisse Nitrat mit begrenzter Genauigkeit überlagert werden (Abbildung 4). Um die Unterscheidung der in der Original-NLWKN-Grafik rot hinterlegten Bereiche innerhalb der 50 mg NO3/l Isolinie und Gebietskulisse Nitrat zu erleichtern, wurde die Gebietskulisse hierbei grün hinterlegt dargestellt. Durch die Farbüberlagerung erscheinen Bereiche der Gebietskulisse Nitrat, die über die 50 mg NO3/l Isolinie hinausgehen hellgrün. Weiterhin sind in Abbildung 4 die 4 Messstellen mit Nitratkonzentrationen größer 37,5 mg NO3/l und steigender Tendenz (rote Sterne) eingefügt (Tabelle 1). Es wird deutlich, dass vergleichsweise häufig die Abgrenzung der roten Gebiete nicht mit der 50 mg NO3/l Isolinie sondern der 37,5 mg NO3 Isolinie übereinstimmt, ohne dass dies mit den 4 Messstellen mit Nitratkonzentrationen größer 37,5 mg NO3/l und steigender Tendenz zu erklären wäre.

Abbildung 4: Ergebnis der Interpolation der maßgeblichen Nitratwerte durch das NLWKN. Dargestellt als gelbe bzw. rote Linien sind die interpolierten 37,5 bzw. 50 mg NO3/l Isolinien. Die Sternsymbole kennzeichnen die niedersächsischen Messstellen mit Nitratkonzentrationen > 37,5 mg NO3/l und signifikant steigendem Trend.

Unter Nutzung der gleichen Software (ArcGis Pro) und unter Verwendung des Datensatzes des MUN konnten die Interpolationslinien des NLWKN sehr gut nachvollzogen werden. Hierdurch ergibt sich eine deutlich höhere Genauigkeit als bei der Georeferenzierung der NLWKN-Grafik. In Abbildung 5 ist das Ergebnis der Interpolation der maßgeblichen Nitratwerte für einen Ausschnitt des niedersächsischen Landesgebiets dargestellt. Gelbe bzw. rote Linien sind die interpolierten 37,5 bzw. 50 mg NO3/l Isolinien. Die Gebietskulissse Nitrat ist diesmal rot hinterlegt dargestellt.

Abbildung 5: Ergebnis der Interpolation der maßgeblichen Nitratwerte durch das NLWKN. Dargestellt als gelbe bzw. rote Linien sind die interpolierten 37,5 bzw. 50 mg NO3/l Isolinien. Blaue Linien kennzeichnen die Grenze von Grundwasserkörpern. Die Sternsymbole kennzeichnen die niedersächsischen Messstellen mit Nitratkonzentrationen > 37,5 mg NO3/l und signifikant steigendem Trend. Rot hinterlegt sind die roten Gebiete

7 Effekt der N2-Argon Methode auf die Gebietskulisse

Eine näherungsweise Abschätzung der Effekte der Verwendung des N2-Argon-Aufschlags auf den Umfang der Gebietskulisse wurde durchgeführt, in dem die frei zugänglichen Mittelwerte der Nitratmessungen im WRRL-Messnetz Niedersachsens von 2018-2021 (1193 Messwerte) mit der gleichen Methodik interpoliert werden wie die maßgeblichen Nitratwerte des Ausweisungsmessnetzes. Die Ergebnisse dieser Analyse sind in {Abbildung 6} dargestellt.

Abbildung 6: Ergebnis der Interpolation der Mittelwerte der WRRL-Nitratmesswerte der Jahre 2018-2021. Die dicken roten Linien bezeichnen die interpolierten 50 mg NO3/l Isolinien. Rot hinterlegt sind die Flächen der Gebietskulisse Nitrat (roten Gebiete)

8 Erneute Anfrage/Antwort des MUN

Auf erneute Anfrage mit Bitte um Erläuterung der in Niedersachsen angewendeten Methodik autwortete Frau Ulrike Lipkow mit Mail vom 5.8.2025:

“Sehr geehrter Herr Kage,

wie in der beigefügten Landtagsdrucksache 19/7526 dargestellt, wurde die immissionsbasierte Abgrenzung in Niedersachsen gemäß § 5 i.V.m. § 3 Abs. 3 AVV GeA durchgeführt. Bewertungskriterien sind

  • eine Überschreitung des Schwellenwerts von 50 mg/l Nitrat oder
  • ein steigender Trend von Nitrat nach § 10 GrwV und eine Nitratkonzentration von mindestens 37,5 mg/l Nitrat.

Bewertungskriterium b) umfasst aufgrund dieser Vorgabe neben den Messstellen mit steigendem Trend und einem maßbeglichen Nitratwert von mindestens 37,5 mg/l auch Messstellen mit steigendem Trend, an denen der maßgebliche Nitratwert mehr als 50 mg/l beträgt. Gebiete, die das Bewertungskriterium b) erfüllen, werden dementsprechend mit 37,5 mg/l abgegrenzt (siehe auch Methodenbeschreibung Kapitel 1.7, die in meiner Mail vom 30.10.2024 verlinkt ist). Die betreffenden Messstellen lassen sich anhand der Tabelle in o. g. Landtagsdrucksache ermitteln.”

§3 AVVGeA lautet:

“(3) In den nach Absatz 1 ermittelten Grundwasserkörpern sind Gebiete von Grundwasserkörpern, in denen weder eine Überschreitung des Schwellenwerts von 50 Milligramm Nitrat je Liter noch ein steigender Trend von Nitrat nach § 10 der Grundwasserverordnung und eine Nitratkonzentration von mindestens 37,5 Milligramm Nitrat je Liter festgestellt worden ist, nach § 5 abzugrenzen.”

Ich bin kein Jurist, aber ich interpretiere das als relativ eindeutige Regelung in dem Sinne, dass im Normalfall 50 mg NitratwertIsolinien zur Abgrenzung der roten Gebiete genutzt werden müssen und nur in dem Fall, in denen Messstellen eine Konzentration > 37,5 mg Nitratwert/l und eine signifikant steigende Tendenz aufweisen, die 37,5 mg Niratwert-Isolinie heranzuziehen ist.

Wenn ich die Antwort des MUN richtig verstanden habe, sind in Niedersachsen aber bei 50 mg Nitratwert/l und steigender Tendenz im Grundwasserkörper die 37,5 mg Nitratwert/l-Isolinien als Abgrenzung herangezogen worden. Das entspricht meiner Ansicht nach nicht den Regelungen nach §3 AVVGeA.