#Replikationsstudie: Wie aufmerksam bist du?

##Eine Analyse der Unaufmerksamkeitsblindheit in Anlehnung an Simons & Chabris (1999)

##1. Einleitung Die selektive Aufmerksamkeit ist ein fundamentaler kognitiver Prozess, der es uns ermöglicht, relevante Reize zu priorisieren, während andere ignoriert werden. Eine bemerkenswerte Konsequenz dieses Prozesses ist die

Unaufmerksamkeitsblindheit (inattentional blindness), bei der selbst auffällige, unerwartete Ereignisse nicht bewusst wahrgenommen werden, wenn die Aufmerksamkeit auf eine andere Aufgabe fokussiert ist.

Das klassische Experiment von

Simons und Chabris (1999) demonstrierte diesen Effekt eindrucksvoll: Etwa die Hälfte der Versuchspersonen, die angewiesen wurden, die Anzahl der Basketballpässe in einem Video zu zählen, bemerkten eine Person im Gorillakostüm nicht, die durch die Szene lief. Faktoren wie die Schwierigkeit der Aufgabe oder die Ähnlichkeit des unerwarteten Objekts zu den beachteten Reizen beeinflussen dabei die Wahrscheinlichkeit der Wahrnehmung.

Das Ziel dieser Studie ist die Replikation dieses Experiments, um die experimentelle Methode praktisch anzuwenden und die Robustheit des Effekts zu überprüfen.

##2. Fragestellung und Hypothesen Die zentrale Forschungsfrage lautet, ob der Effekt der Unaufmerksamkeitsblindheit unter den gegebenen Bedingungen reproduziert werden kann. Daraus leiten sich zwei Hypothesen ab:

Hypothese 1 (H1): Ein signifikanter Anteil der Versuchspersonen in der Experimentalgruppe wird das unerwartete Ereignis (Gorilla) nicht bemerken, während sie die Pässe zählen.

Hypothese 2 (H2): Die Zählleistung der Kontrollgruppe, die eine allgemeine Zählaufgabe hat, ist signifikant ungenauer (d.h. die Abweichung vom korrekten Wert ist größer) als die der Experimentalgruppe, was auf eine höhere kognitive Last hindeutet.

##3. Methodik 3.1 Stichprobe Die Stichprobe umfasste 221 Studierende, die über einen Online-Link rekrutiert wurden. Das Durchschnittsalter lag bei 26,2 Jahren. Wir strebten eine Stichprobengröße an, die mit dem Original (n=192) vergleichbar ist.

###3.2 Durchführung und Design Die Durchführung orientierte sich am Vorgehen von Simons und Chabris (1999). Die Teilnehmer wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt:

Experimentalgruppe (N = 113): Sollte die Pässe des weißen Teams zählen (korrekt: 15).

Kontrollgruppe (N = 108): Sollte die Gesamtanzahl der Pässe zählen (korrekt: 35).

Nach dem Ansehen des Videos wurde über einen Fragebogen (erstellt mit Google Forms ) erfasst, ob der Gorilla bemerkt wurde und wie viele Pässe gezählt wurden.

###3.3 Variablen und Messinstrumente

Unabhängige Variable (UV): Der Aufmerksamkeitsfokus, manipuliert durch die Zählaufgabe (selektiv vs. allgemein).

Abhängige Variable (AV): Das Bemerken des Gorillas (Ja/Nein). Dies wurde durch eine Serie von zunehmend spezifischen Fragen erfasst , gipfelnd in der direkten Frage “Hast du einen Gorilla über den Bildschirm gehen sehen?”.

Weitere erfasste Variablen: Zählgenauigkeit, demografische Daten, Vorkenntnisse zum Experiment und selbstberichtete Konzentration.

##Notwendige Pakete:

library(tidyverse) 
## Warning: Paket 'tidyverse' wurde unter R Version 4.4.2 erstellt
## Warning: Paket 'tibble' wurde unter R Version 4.4.2 erstellt
## Warning: Paket 'tidyr' wurde unter R Version 4.4.1 erstellt
## Warning: Paket 'readr' wurde unter R Version 4.4.2 erstellt
## Warning: Paket 'purrr' wurde unter R Version 4.4.1 erstellt
## Warning: Paket 'dplyr' wurde unter R Version 4.4.2 erstellt
## Warning: Paket 'forcats' wurde unter R Version 4.4.2 erstellt
## Warning: Paket 'lubridate' wurde unter R Version 4.4.2 erstellt
## ── Attaching core tidyverse packages ──────────────────────── tidyverse 2.0.0 ──
## ✔ dplyr     1.1.4     ✔ readr     2.1.5
## ✔ forcats   1.0.0     ✔ stringr   1.5.1
## ✔ ggplot2   3.5.1     ✔ tibble    3.2.1
## ✔ lubridate 1.9.3     ✔ tidyr     1.3.1
## ✔ purrr     1.0.2     
## ── Conflicts ────────────────────────────────────────── tidyverse_conflicts() ──
## ✖ dplyr::filter() masks stats::filter()
## ✖ dplyr::lag()    masks stats::lag()
## ℹ Use the conflicted package (<http://conflicted.r-lib.org/>) to force all conflicts to become errors
library(here)
## Warning: Paket 'here' wurde unter R Version 4.4.3 erstellt
## here() starts at C:/Users/Ajay U. Brar/Music/HMKW

##Daten

library(readxl)
gorilla_data <- read_excel("C:/Users/Ajay U. Brar/Music/HMKW/gorilla_data.xlsx")
head(gorilla_data) 
## # A tibble: 6 × 7
##   Gruppe      Pass_Anzahl Gorilla_Bemerkt Vorkenntnisse Alter Geschlecht Bildung
##   <chr>             <dbl> <chr>           <chr>         <dbl> <chr>      <chr>  
## 1 Experiment…          16 Ja              Ja               26 Weiblich   Bachel…
## 2 Experiment…          14 Nein            Nein             22 Männlich   Fachho…
## 3 Experiment…          15 Nein            Nein             21 Männlich   Hochsc…
## 4 Experiment…          10 Ja              Nein             22 Männlich   Hochsc…
## 5 Experiment…          16 Ja              Nein             22 Männlich   Hochsc…
## 6 Experiment…          13 Ja              Nein             56 Weiblich   Hochsc…
summary(gorilla_data)
##     Gruppe           Pass_Anzahl     Gorilla_Bemerkt    Vorkenntnisse     
##  Length:221         Min.   : 10.00   Length:221         Length:221        
##  Class :character   1st Qu.: 14.00   Class :character   Class :character  
##  Mode  :character   Median : 16.00   Mode  :character   Mode  :character  
##                     Mean   : 22.95                                        
##                     3rd Qu.: 29.00                                        
##                     Max.   :299.00                                        
##      Alter        Geschlecht          Bildung         
##  Min.   :20.00   Length:221         Length:221        
##  1st Qu.:23.00   Class :character   Class :character  
##  Median :25.00   Mode  :character   Mode  :character  
##  Mean   :26.16                                        
##  3rd Qu.:29.00                                        
##  Max.   :56.00

###Daten Bereinigen

daten_clean <-gorilla_data%>%
  mutate(
    Gruppe = fct_relevel(Gruppe, "Kontrollgruppe", "Experimentalgruppe"),
    Gorilla_Bemerkt = as.factor(Gorilla_Bemerkt),
    Geschlecht = as.factor(Geschlecht),
    Bildung = as.factor(Bildung),
    Vorkenntnisse = as.factor(Vorkenntnisse))
print(str(daten_clean))
## tibble [221 × 7] (S3: tbl_df/tbl/data.frame)
##  $ Gruppe         : Factor w/ 2 levels "Kontrollgruppe",..: 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 ...
##  $ Pass_Anzahl    : num [1:221] 16 14 15 10 16 13 12 12 15 14 ...
##  $ Gorilla_Bemerkt: Factor w/ 2 levels "Ja","Nein": 1 2 2 1 1 1 1 1 2 2 ...
##  $ Vorkenntnisse  : Factor w/ 2 levels "Ja","Nein": 1 2 2 2 2 2 1 1 2 2 ...
##  $ Alter          : num [1:221] 26 22 21 22 22 56 28 21 25 23 ...
##  $ Geschlecht     : Factor w/ 3 levels "Divers","Männlich",..: 3 2 2 2 2 3 3 3 2 3 ...
##  $ Bildung        : Factor w/ 6 levels "Bachelor","Fachhochschulreife",..: 1 2 4 4 4 4 2 4 1 4 ...
## NULL

##4. Ergebnisse der Datenanalyse mit R-Studio Die Auswertung erfolgte mit R Studio, um sowohl die Hypothesen zu prüfen als auch explorative Analysen durchzuführen.

4.1 Hypothesenprüfung 1: Unaufmerksamkeitsblindheit Zuerst wurde die Haupthypothese mittels Chi-Quadrat-Test überprüft.

Grafik 1: Anteil der Gorilla-Wahrnehmungen pro Gruppe

Diese Grafik wurde aus deinem R-Output (G.html) übernommen.

Ergebnis: Wie in der Grafik ersichtlich, bemerkten nur 11% der Experimentalgruppe den Gorilla, im Vergleich zu 59% in der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied ist statistisch hochsignifikant (χ²(1) = 55.77, p < .001).

Fazit H1: Die Hypothese 1 wird angenommen. Der Effekt der Unaufmerksamkeitsblindheit konnte erfolgreich und deutlich repliziert werden.

###Gorilla Sichtungen pro Gruppe

ggplot(daten_clean, aes(x = Gruppe, fill = Gorilla_Bemerkt)) +
  geom_bar(position = "fill") + # "fill" skaliert die Balken auf 100%
  scale_y_continuous(labels = scales::percent) + # Formatiert die Y-Achse als Prozent
  labs(
    title = "Anteil der Teilnehmer, die den Gorilla bemerkt haben",
    subtitle = "Vergleich zwischen Kontroll- und Experimentalgruppe",
    x = "Gruppe",
    y = "Prozentualer Anteil",
    fill = "Gorilla bemerkt?"
  ) +
  theme_minimal() + # Ein sauberes Design
  scale_fill_brewer(palette = "Set1") # Ein Farbschema

###Altersverteilung

ggplot(daten_clean, aes(x = Alter)) +
  geom_histogram(binwidth = 5, fill = "steelblue", color = "white") +
  labs(
    title = "Altersverteilung der Teilnehmer",
    x = "Alter",
    y = "Anzahl der Teilnehmer"
  ) +
  theme_minimal()

###Bildungsabschlüsse

ggplot(daten_clean, aes(x = fct_rev(fct_infreq(Bildung)))) + # Sortiert die Balken nach Häufigkeit
  geom_bar(fill = "skyblue") +
  coord_flip() + # Dreht die Achsen für bessere Lesbarkeit
  labs(
    title = "Höchster Bildungsabschluss der Teilnehmer",
    x = "Bildungsabschluss",
    y = "Anzahl"
  ) +
  theme_minimal()

###4.2 Hypothesenprüfung 2: Zählgenauigkeit Zur Überprüfung von H2 wurde die absolute Abweichung vom korrekten Zählergebnis analysiert.

#Daten Korektur und Bereinigung 
korrekter_wert_kontrolle <- 35
korrekter_wert_experiment <- 15 

daten_analyse <- daten_clean %>%
  mutate(
    Zaehl_Abweichung = case_when(
      Gruppe == "Kontrollgruppe" ~ abs(Pass_Anzahl - korrekter_wert_kontrolle),
      Gruppe == "Experimentalgruppe" ~ abs(Pass_Anzahl - korrekter_wert_experiment)
    )
  )

Abweichungen

zusammenfassung_abweichung <- daten_analyse %>%
  group_by(Gruppe) %>%
  summarise(Mittlere_Abweichung = mean(Zaehl_Abweichung, na.rm = TRUE))
print(zusammenfassung_abweichung)
## # A tibble: 2 × 2
##   Gruppe             Mittlere_Abweichung
##   <fct>                            <dbl>
## 1 Kontrollgruppe                    8.03
## 2 Experimentalgruppe                1.20

T-Test

t_test_ergebnis <- t.test(Zaehl_Abweichung ~ Gruppe, data = daten_analyse)
print(t_test_ergebnis)
## 
##  Welch Two Sample t-test
## 
## data:  Zaehl_Abweichung by Gruppe
## t = 2.8288, df = 107.36, p-value = 0.005576
## alternative hypothesis: true difference in means between group Kontrollgruppe and group Experimentalgruppe is not equal to 0
## 95 percent confidence interval:
##   2.042102 11.606374
## sample estimates:
##     mean in group Kontrollgruppe mean in group Experimentalgruppe 
##                         8.027778                         1.203540

Grafische Darstellung der Abweichung

ggplot(daten_analyse, aes(x = Gruppe, y = Zaehl_Abweichung, fill = Gruppe)) +
  # Boxplot, aber ohne die Ausreißer-Punkte, da wir sie selbst zeichnen
  geom_boxplot(outlier.shape = NA) + 

  # Jitter-Plot, um die Verteilung der einzelnen Datenpunkte zu zeigen
  geom_jitter(width = 0.2, alpha = 0.4, color = "black") + 

  # In den Bereich von 0 bis 15 hineinzoomen, ohne Daten zu entfernen
  coord_cartesian(ylim = c(0, 15)) +

  labs(
    title = "Vergleich der Zählgenauigkeit zwischen den Gruppen",
    subtitle = "Y-Achse auf Abweichungen von 0-15 begrenzt zur besseren Sichtbarkeit",
    x = "Gruppe",
    y = "Absolute Abweichung der gezählten Pässe"
  ) +
  theme_minimal(base_size = 14) + # Größere Schrift für bessere Lesbarkeit
  scale_fill_brewer(palette = "Set1") +
  guides(fill = "none") # Legende ausblenden

Ergebnis: Die mittlere Abweichung der Kontrollgruppe war signifikant höher als die der Experimentalgruppe

Fazit H2: Hypothese 2 wird ebenfalls angenommen. Dies stützt die Annahme, dass die selektive Aufgabe kognitiv weniger anspruchsvoller war.

Explorative Analysen: Einfluss von Vorkenntnissen

Es wurde geprüft, ob Vorkenntnisse über das Experiment das Ergebnis beeinflussten.

tabelle_vorkenntnisse <- table(daten_analyse$Vorkenntnisse, daten_analyse$Gorilla_Bemerkt)
print(tabelle_vorkenntnisse)
##       
##         Ja Nein
##   Ja     6    0
##   Nein  70  145
chisq.test(tabelle_vorkenntnisse)
## Warning in chisq.test(tabelle_vorkenntnisse): Chi-Quadrat-Approximation kann
## inkorrekt sein
## 
##  Pearson's Chi-squared test with Yates' continuity correction
## 
## data:  tabelle_vorkenntnisse
## X-squared = 8.9676, df = 1, p-value = 0.002748

Hypothesentest H1

Kontingenztabelle H1

kontingenz_tabelle <- table(daten_clean$Gruppe, daten_clean$Gorilla_Bemerkt)

print("Kontingenztafel:")
## [1] "Kontingenztafel:"
print(kontingenz_tabelle)
##                     
##                       Ja Nein
##   Kontrollgruppe      64   44
##   Experimentalgruppe  12  101

Chi-Quadrat H1

chi_test_ergebnis <- chisq.test(kontingenz_tabelle) 

print("Ergebnis des Chi-Quadrat-Tests:")
## [1] "Ergebnis des Chi-Quadrat-Tests:"
print(chi_test_ergebnis)
## 
##  Pearson's Chi-squared test with Yates' continuity correction
## 
## data:  kontingenz_tabelle
## X-squared = 55.767, df = 1, p-value = 8.16e-14

##5. Diskussion ##5.1 Interpretation der Ergebnisse Die zentrale Forschungsfrage, ob der Effekt der Aufmerksamkeitsblindheit reproduziert werden kann, wird klar bejaht. Die Hypothese hat sich bestätigt: Ein signifikanter Teil der Experimentalgruppe (89 %) nahm den Gorilla nicht wahr.

Vergleich zur Originalstudie: Unsere Replikation zeigt einen noch stärkeren Effekt. Während bei Simons & Chabris (1999) ca. 50 % den Gorilla übersahen, waren es in unserer Experimentalgruppe 89 %. Dies könnte auf eine höhere empfundene Aufgabenschwierigkeit in unserem Versuchsaufbau hindeuten.

Fazit: Die Studie demonstriert eindrucksvoll die Grenzen unserer visuellen Wahrnehmung und bestätigt die Robustheit des “Unsichtbaren Gorilla”-Effekts.

Die Ergebnisse zeigen einen starken Unaufmerksamkeitseffekt. Die signifikant geringere Zählgenauigkeit in der Kontrollgruppe legt nahe, dass die höhere kognitive Beanspruchung der allgemeinen zähl Aufgabe die Verarbeitungskapazität für unerwartete Reize erhöht hat. Die explorative Analyse der Vorkenntnisse unterstreicht zudem die Bedeutung von Erwartungshaltungen bei Wahrnehmungsprozessen.

5.2 Vergleich mit der Originalstudie & Limitationen

Effektstärke: Unsere Replikation fand einen noch ausgeprägteren Effekt als Simons & Chabris (1999), wo ca. 50% den Gorilla übersahen. Dies könnte auf Details in unserem Videomaterial oder der spezifischen Aufgabeninstruktion zurückzuführen sein.

Stichprobe: Die ausschließliche Verwendung von Studierenden schränkt die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ein.

Setting: Die unkontrollierte Online-Umgebung könnte die Ergebnisse durch Störvariablen (z.B. Ablenkungen) beeinflusst haben.

5.3 Fazit und Ausblick

Zusammenfassend konnte das Phänomen der Unaufmerksamkeitsblindheit erfolgreich und eindrücklich repliziert werden. Die Studie zeigt, wie stark unsere Wahrnehmung von unserer aktuellen Aufmerksamkeitsausrichtung abhängt. Zukünftige Studien könnten den Effekt in diverseren Populationen und unter kontrollierten Laborbedingungen untersuchen.

6. Literatur

Simons, D. J., & Chabris, C. F. (1999). Gorillas in our midst: sustained inattentional blindness for dynamic events.

Perception, 28(9), 1059-1074.