Sonderauswertung Twitter/X - Politisches Umfeld und Mediensystem im Jahr 2024

Für die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten

Autor:in

Benjamin Läpple

Veröffentlichungsdatum

20.03.24

1 tl;dr - Das Wichtigste in Kürze:

  1. Die Abgeordneten der FDP-Fraktion haben im Betrachtungszeitraum am zweitmeisten Tweets (nach den Grünen) veröffentlicht. Dabei gibt es jedoch (sehr) große Aktivitätsunterschiede innerhalb der Fraktion sowie mit Blick auf die Art der Twitternutzung.

  2. Während wichtiger (tagesaktueller) Events nimmt die Aktivität der Fraktion insgesamt stark zu (z.B. Tod von Nawalny). Einzelne Partei-Events (Dreikönigstreffen, Europaparteitag) führen ebenfalls zu einer stark erhöhten Aktivität.

  3. Bei den Interaktionsstatistiken liegen die Abgeordneten der FDP auf dem letzten Platz aller Fraktionen im Jahr 2024.

  4. Trotz der Kontroversen bzgl. Twitter und der jüngsten Veränderung der Plattform, setzt sich das Followerwachstum der meisten FDP-Accounts fort. Bei knapp 1/6 der Accounts sind jedoch Followerverluste seit September 2023 zu verzeichnen.

  5. Eine Netzwerkanalyse der Retweets der FDP-Abgeordneten zeigt, dass die FDP-Fraktion in verschiedene Communities aufgeteilt ist. Sehr häufig kommunizieren einzelne Cluster getrennt vom Rest. Message-Kontrolle ist nur begrenzt sichtbar.

  6. Die meisten FDP-Abgeordneten nutzen Twitter zur faktenbasierten und nüchternen Vermittlung eigener thematischer Standpunkte. Nur wenige Tweets richten sich abwertend gegen politische Mitbewerber. Vielmehr werden Botschaften der eigenen Fraktionsmitglieder zustimmend weiterverbreitet.

  7. Im Durchschnitt kommuniziert die FDP am wenigsten toxisch, wie eine Analyse mit Jigsaw zeigt. Da Wut, Angst, Angriffe auf Gruppen mit anderer sozialer Identität, Empörung, Authentizität, moralisch-emotionale Botschaften, Humor und Negativität auf Twitter jedoch mit hohen Interaktionen belohnt werden, liegt hierin auch ein Grund für die unterdurchschnittliche Performance der FDP. Zwei Abgeordnete, die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise mit diesen Mechanismen erfolgreich agieren, sind Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Katja Adler.

  8. Der Themenfokus der FDP-Fraktionsmitglieder liegt auf dem Thema Wirtschaft. Weitere wichtige Themen sind die Außen- und Sicherheitspolitik sowie Themen, die die FDP betreffen.

  9. Herausforderungen bestehen für die FDP v. a. mit Blick auf das sich verändernde Medienspektrum, das auch die Kommunikation und das Agenda-Setting auf Twitter betreffen. Insbesondere die FDP ist hier vulnerabel, da sie, hinsichtlich der Verortung ihrer Akteure in der Medienlandschaft am wenigsten sortiert ist und eine zentristische Position einnimmt. Zugleich existieren zahlreiche Akteure im Zwischenbereich zwischen FDP, CDU/CSU und AfD, die kontinuierlich AfD-nahe Narrative in das Spektrum der FDP hineintragen.

  10. Hier spielen v. a. Influencer und neue alternative (rechte) Medien eine große Rolle, denen es zunehmend gelingt, eigene Frames und Narrative in der Debatte zu platzieren und konfligierende Botschaften in das FDP-Spektrum zu tragen.

2 Teil I

2.1 Einleitung und Zielsetzung

Dieser Sonderreport gibt einen Überblick über die wesentlichen Interaktionsstatistiken und Entwicklungen auf X/Twitter für den Zeitraum 01.01. bis 04.03.2024. Inkludiert sind die Twitterprofile (Followings & Tweets/Posts) aller FDP-Bundestagsabgeordneten, die im Jahr 2024 auf der Plattform aktiv waren. Zu Vergleichszwecken wurden die Abgeordneten der anderen Fraktionen ebenfalls inkludiert. Sämtliche Tweets/Followings wurden mittels Webscraping gesammelt und mit der Statistiksoftware R bzw. der Netzwerkanalyse-Software Gephi analysiert. Der Report ist dabei in zwei Teile aufgeteilt. Teil 1 enthält einen Überblick über die Aktivitäten und Nutzungsstatistiken, Teil beinhaltet eine Analyse der Themenschwerpunkte, des politischen Umfelds sowie einen Ausblick auf das Medienumfeld in dem sich die Abgeordneten bewegen.

Der Report stellt einen ersten Aufschlag dar und kann kontinuierlich weiterentwickelt bzw. an die genauen Erfordernisse der FDP-Bundestagsfraktion – speziell der Abteilung Umfeldanalyse – angepasst werden. Hierzu könnte auch ein gemeinsamer Termin durchgeführt werden, bei dem über die Ergebnisse, Ableitungen hieraus und genaue Anforderungen an weitere Sonderreportings gesprochen wird.

Ziel dieses Reports ist es, einen umfassenden Überblick über das „Twitterverse”, die Performance und das Nutzungsverhalten der Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion zu geben. Perspektivisch kann diese Analyse auf weitere Plattformen (Facebook, Instagram, Mastodon, TikTok, YouTube und LinkedIn) ausgeweitet werden. Ebenso sind ad hoc Analysen zu einzelnen Debatten (#) sowie zur „Gegneranalyse” (z. B. Wer trägt „fremde” Narrative in die FDP-Bubble?) denkbar.

Hierzu könnte auch eine Analyse des alternativen (neurechten) Medienspektrums bzw. der wesentlichen Akteure gehören, die am Randbereich der bürgerlichen Parteien kontinuierlich AfD-nahe Narrative einsickern lassen und so die äußere Wahrnehmung der FDP sowie die innerparteiliche Meinungsbildung beeinflussen. Dies zeigt sich zuletzt u. a. bei Debatten zum Demokratiefördergesetz, den Bauernprotesten sowie bei Versuchen der Delegitimierung des Verfassungsschutzes. Ebenso haben Akteure dieses Spektrums versucht, Einfluss auf das Stimmungsbild zum FDP-Mitgliederentscheid zu nehmen.

2.2 Wie und wie viel twittern die FDP-MdB?

2.2.1 Tweets im Zeitverlauf

Im Betrachtungszeitraum (01.01.2024 – 04.03.2024) haben die FDP-Bundestagsabgeordneten insgesamt 6932 Tweets abgesetzt. Im Mittel wurden 108 Tweets pro Tag abgesetzt. Insbesondere der 6. Januar (#3k24), der Tag des Dreikönigstreffens (260 Tweets), der Tag des Bundesparteitags (274 Tweets), am 28. Januar 2024 (#StreitbarInEuropa & #ept24), der 16. Feburaur 2024, der Todestag von Nawalny (219 Tweets) sowie die Debatten am 22. und 23.02.2024 zu verschiedenen Themen (#Taurus, #Grimm, #Wachstumschancengesetz, #Steuererleichtungen) ragen als Spitzen hervor.

2.2.2 Twittern die Abgeordneten eigene Botschaften oder agieren sie als Reichweitenverstärker?

Insgesamt waren 50 Prozent der Tweets der FDP-Bundestagsabgeordneten Retweets (3496), 9 Prozent sogenannte Quote-Tweets (644) und nur 41 Prozent (2792) genuin eigene Tweets. Im Vergleich mit den Abgeordneten der anderen Fraktionen fällt auf, dass insbesondere die Abgeordneten der AfD deutlich mehr eigene Tweets verfassen. Am wenigsten eigene Tweets (in % aller verfassten Tweets) verfassen die Abgeordneten der Union. Mit Blick auf das Tweetvolumen liegen die Abgeordneten der FDP auf dem zweiten Platz hinter den Grünen.

2.2.3 Große Unterschiede bei der Aktivität un der Art der Twitternutzung innerhalb der Fraktion

Die folgende Abbildung gibt in interaktiver Form einen Überblick über die Twitter-Aktivität der Abgeordneten. Die Größe der Kreise richtet sich dabei nach der Gesamtaktivität, während die Positionierung sich aus der Anzahl der genuin eigenen Tweets ergibt. Es entfallen fast 40 Prozent aller Tweets und Quote-Tweets auf nur 10 FDP-Abgeordnete. Berücksichtigt man zudem die Retweets, sind 10 Abgeordnete für knapp 42 Prozent aller Tweets verantwortlich. Die drei aktivsten Abgeordneten – Luksic, Lindemann (bis zum Ausscheiden aus dem Bundestag) und Strack-Zimmermann – kommen zusammen auf 21 Prozent aller Tweets. Am meisten eigene Tweets wurden von den Abgeordneten Faber, Stockmeier, Lindner, Buschmann und Seiter verfasst.

Abbildung 3: Wer twittert am häufigsten?

N = 3446 Tweets von 78 Accounts. Die Daten wurden durch webscraping gesammelt (Stand: 04.03.2024).

2.3 Follower-Following Analyse

2.3.1 Followerentwicklung - ein gemischtes Bild!

Seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk hat sich die Dynamik auf der Plattform verändert. Obwohl X (vormals Twitter) noch immer als Meinungsmachermedium gilt, vollzog sich ein Wandel mit Blick auf die Nutzerschaft. Dies drückt sich u. a. darin aus, dass langjägrige Nutzer sich teilweise dauerhaft von Twitter abgemeldet haben, was sich an den Followeständen vieler größerer Accounts bemerkbar macht. Sichtbar wird dies durch einen (temporären) Netto-Verlust an Followern. So hat der Account der FDP (@FDP) im Zeitraum November 2022 bis Oktober 2023 ca. −0,24 Prozent der Follower verloren. Dieser Trend macht sich auch bei der Entwicklung der Followerstände der FDP-Bundestagsabgeordneten bemerkbar. Jedoch wächst Twitter nach eigenen Angaben auch in Deutschland wieder. Diese Trendumkehr zeichnet sich auch bei den hier betrachteten Accounts ab. Insgesamt kommen die Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion auf knapp 1,7 Mio. Follower.

Während einige Accounts starke absolute und/oder relative Followerzugewinne verbuchen konnten, kam es bei knapp einem Viertel der FDP-Abgeordneten zu Followerverlusten. Den größten relativen Followerzuwachs verzeichnete Katja Adler (+24,1 Prozent). Die höchsten Zugewinne in absoluten Zahlen hatten die beiden größten Accounts nach Followern, die jeweils eine fünfstellige Zahl neuer Follower hinzugewinnen konnten (Christian Lindner + 26145 sowie Marie-Agnes Strack-Zimmermann + 10346). Hohe absolute und relative Zugewinne konnte zudem Konstantin Kuhle (absolut: +8679, relativ: + 14,3 Prozent) erzielen.

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Zugewinne/Verluste von 81 FDP-Bundestagsabgeordneten, die sowohl im September 2023 als auch im März 2024 auf der Plattform aktiv und als Mandatsträger im Bundestag vertreten waren.

Followerstände und Zuwächse der FDP-MdB
Zeitraum August 2023 - März 2024
1 Stand: 18.03.2024 2 Zugewinn in %

2.3.2 Wem folgen die FDP-Bundestagsabgeordneten auf Twitter?

Neben den reinen Followerzahlen – die für die organische Reichweite der Accounts eine wichtige Rolle spielen – sind v. a. die Followings der Abgeordneten interessant. Hierdurch soll aufgezeigt werden, welche Meinungsmacher auf Twitter im Informationssökosystem der Abgeordnenten relevant bzw. präsent sind. Hierzu gehören v. a. FDP-Mitglieder, Politiker anderer Parteien (aus dem In- und Ausland), Journalisten und Wissenschaftler.

Die drei nachfolgenden interaktiven Tabellen geben einen Überblick bzgl. der meistgefolgten Accounts der FDP-Bundestagsabgeordneten. Hierzu wurden die Followings, sprich die Accounts, denen die FDP-Bundestagsabgeordneten folgen, ausgewertet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden externe und FDP-assoziierte Accounts separat ausgewiesen (siehe Tabs Most-followed Accounts & Most-followed FDP-Accounts). Unter den externen Stakeholdern befinden sich schwerpunktmäßig Journalisten, weitere Personen des öffentlichen Lebens sowie Organisationen, Unternehmen und Verbände. Zu den FDP-Stakeholdern gehören FDP-Mandatsträger aus dem Europaparlament und den Landesparlamenten, ehemalige Mandatsträger, Kandidierende, Funktionsträger, Accounts von Gliederungen sowie Basismitglieder. Zudem enthält die dritte Tabelle mehr als 1000 Accounts, denen mindestens 15 FDP-Abgeordnete folgen.

Neben dem jeweiligen Namen und dem dazugehörigen Twitter-Account zeigt die Tabelle auch, wie viele der 86 FDP-Bundestagsabgeordneten auf X den jeweiligen Accounts folgen (in absoluten und relativen Werten). Ebenso ist die Twitter-Bio der Accounts inkludiert, um weitere Kontext-Informationen über die jeweiligen Stakeholder zu geben. Da der Twitter-Algorithmus (v. a. Twitter Blue) mittlerweile Kommentare stärker berücksichtigt als vor der Übernahme durch Musk, wird die Interaktion mit reichweitenstarken Accounts stärker belohnt. Durch gezielte Interaktion mit Stakeholdern, die eine hohe Popularität im eigenen Netzwerk besitzen, kann somit gezielt die Reichweite erhöht werden.

Die fünf beliebtesten Accounts – nach Followings – ohne direkten FDP-Bezug sind: Robin Alexander, Ulf Poschardt, Thomas Sigmund, SZ sowie die Tagesschau. Zu den beliebtesten Accounts – mit direktem FDP-Bezug – außerhalb der Bundestagsfraktion gehören: der Account der Fraktion und der Bundespartei, Alexander Graf Lambsdorff, die JuLis sowie Nicola Beer und Moritz Körner. Innerhalb der Fraktion folgen alle Abgeordneten, sowohl Christian Lindner, Johannes Vogel, Konstantin Kuhle und Marco Buschmann, gefolgt von Christian Dürr, Lukas Köhler und Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

2.3.4 Welche Accounts werden von den FDP-Bundestagsabgeordneten am meisten retweetet und mit Quote-Tweets geteilt?

Im Betrachtungszeitraum wurde die Tagesschau am häufigsten mit Quote-Tweets bedacht. Hierbei stand v.a. Kritik an der Berichterstattung zum Lieferkettengesetz im Zentrum. Zudem zeigt sich, dass die FDP-Abgeordneten Quote-Tweets häufig zur Unterstützung eigener FDP-Kanäle und Botschaften absetzen.

Die am häufigsten geteilten Accounts sind Christian Lindner und der Account der FDP-Bundestagsfraktion, die von mehr als 6 von 10 MdB per Retweet verbreitet wurden. Zudem teilten mehr als 40% Inhalte der Minister Buschmann und Stark-Watzinger sowie des Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr.

Die Häufigkeit mit der Accounts im Betrachtungszeitraum geteilt wurden, ist in den zwei nachfolgenden Tabellen dargestellt. Außerdem sind die 500 erfolgreichsten Tweets der FDP-Bundestagsabgeordneten (nach Anzahl der erhaltenen Retweets) aufgelistet.

Aus den Retweets lassen sich zudem die Retweet-Beziehungen innerhalb des Fraktions-Twitterverses durch eine Netzwerkanalyse abbilden. Die Größe der Knoten entspricht dabei der »Popularität« der jeweiligen Accounts, gemessen an der Zahl der Retweets, die sie von anderen Accounts innerhalb des Netzwerks erhalten haben. Hierdurch kann neben der Popularität auch die Beziehung der Akteure zueinander abgebildet werden. Die unterschiedlichen Farben bilden unterschiedliche „Communities” ab, die durch einen gängigen „Community-Detection-Algorithmus” ermittelt wurden. Während die gelb und magenta colorierten Communities die „Kern-Communities” abbilden, stellen die restlichen Communities verschiedene Gruppen dar, die jeweils stark miteinander interagieren und deshalb abseits der „Kern-Communities” eigene Cluster mit oft eigenen „Influencern” bilden. Um das Netzwerk übersichtlich zu halten, wurden nur Accounts mit mehr als zwei erhaltenen Retweets im Netzwerk inkludiert. Dies hat keine Auswirkung auf die Zusammensetzung der Communitys. Anhand der Community-Aufteilung lassen sich zudem Rückschlüsse über das Twitterverhalten der Abgeordneten ziehen. Während manche Communities stark mit den „Kern-Communities” durch wechselseitige Retweets verflochten sind, zeichnen sich andere Communities durch eine größere Distanz zum Kern aus oder bilden, wie der Account Strack-Zimmermann, eine eigene Community.

3 Teil II: Deep Dive - Thematische Analyse

Neben den reinen Interaktionsmessungen können anhand des Twitterverhaltens der Abgeordneten auch Rückschlüsse auf die inhaltliche Ausrichtung gezogen werden. Diese Inhaltsanalyse besteht dabei aus (a) einem Hashtag-Netwerk (b) einer Themenklassifizierung mithilfe generativer KI (c) einer Negativitäts- und Toxizitätsmessung unter Anwendung eines vortrainierten Machine-Learning-Modells.

3.0.1 Welche Themen werden durch die Hashtags transportiert?

Das Hashtagnetzwerk zeigt die Beziehung verschiedener Hashtags zueinander. Hierfür wurde eine Kookurrenzanalyse erstellt. Dabei ergeben sich verschiedene inhaltliche Cluster. Eine hohe Bedeutung im Netzwerk kommt Hashtags zu Wirtschaftsthemen zu. Außerdem sind Partei-interne Themen wie der Bundesparteitag und das Dreikönigstreffen im Januar weitere dominante Themen. Des Weiteren spielen Hashtags zur Verteidigungs- und Außenpolitik (Israel, Ukraine, Russland) eine große Rolle.

Figure 1: In welchem thematischen Zusammenhang werden Hashtags genutzt?

3.0.2 Zu welchen Themenschwerpunkten wurde getwittert?

In einem weiteren Schritt wurde mithilfe generativer KI (ChatGPT4) eine Klassifizierung sämtlicher Tweets aller Fraktionen im Betrachtungszeitraum vorgenommen. Zuvor wurde mittels Topic Modelling eine Themenvorauswahl getroffen. Basierend auf den Ergebnissen des Topic-Modelllings wurden die folgenden Kategorien festgelegt: Wirtschaft, Migration, Klima, Sozialpolitik, Gesundheit, Außenpolitik, Innenpolitik, Nasty Politics, Sonstiges.

Unter »Nasty Politics« sind Tweets gegen den politischen Mitbewerber gemeint, die einzig und allein der Abwertung des politischen Gegners dienen. Dabei kann das Spektrum von einer Anschuldigung bis hin zu Beschimpfungen oder sogar Bedrohungen reichen.

Die wichtigsten Ableitungen sind:

  • Die FDP-Abgeordneten twittern von allen Fraktionen am meisten zu Wirtschaftsthemen.

  • Die AfD-Abgeordneten twittern mit deutlichem Abstand am häufigsten zum Thema Migration (fast 4x so häufig wie FDP-Abgeordnete).

  • Abgeordnete der Grünen twittern mit großem Abstand am häufigsten zum Thema Klima. AfD-Abgeordnete twittern ebenfalls zum Thema Klima, jedoch häufig in ablehnender Art (in Bezug auf das Thema und auf die Akteure, z.B. die Ampel und die Grünen).

  • Mitglieder der Linken und des BSW sind stark auf das Thema Sozialpolitik fokussiert.

  • Die Popularität des Themas Gesundheit in der SPD-Fraktion ergibt sich fast ausschließlich durch die starke Twitter-Präsenz von Karl Lauterbach.

  • Außenpolitik (hierunter fällt auch die Sicherheitspolitik) nimmt bei den Abgeordneten aller Fraktionen eine herausgehobene Stellung ein. Insbesondere der Mord an Nawalny, die Debatte(n) zum Thema Taurus, das Thema Israel-Palästina sowie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stehen im Zentrum. Am meisten Tweets zum Tod von Nawalny wurden von den Abgeordneten der FDP-Fraktion verfasst. Ähnlich aktiv waren die FDP-Abgeordneten auch schon in den Tagen nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Auch hier wurden von den FDP-Abgeordneten am meisten Tweets zum Thema abgesetzt. Auffallend ist, dass Abgeordnete der AfD relativ wenig zum Thema Außenpolitik twittern. Dies passt jedoch zur Strategie der AfD „Deutschland zuerst”, unter der die restlichen Parteien als Kriegstreiber und abgehobene Eliten diffamiert werden, die sich nicht um die Probleme Deutschlands kümmern.

  • Im Vergleich zur Außenpolitik spielt das Thema Innenpolitik bei der AfD eine große Rolle. Hierunter fallen v.a. das Thema Ausländerkriminalität und die Ausbeutung von Gewaltverbrechen für die eigene politische Agenda. Zudem wird hier auch gegen staatliche Organe und Institutionen Stimmung gemacht.

  • Auffällig ist zudem der extrem hohe Wert der AfD beim Thema Nasty Politics. Fast 1/4 aller AfD-Tweets fallen unter diese Kategorie. Ziele der verbalen Angriffe der AfD sind häufig die Grünen. Jedoch richten sich diese Tweets auch gegen Personen wie die Bundesinnenministerin, den Präsidenten des Verfassungsschutzes sowie gegen andere Parteien und Akteure der Zivilgesellschaft (z.B. Correctiv).

  • Sonstige Themen (Parteiveranstaltungen, Glückwunsch-Tweets, Sportevents usw.) nehmen bei allen Fraktionen einen großen Raum ein.

3.1 Interaktionsanalyse

Seit wenigen Monaten ist es möglich, die Reichweite von Posts auf Twitter zu analysieren. Zuvor war dies nur für Account-Inhaber selbst möglich. Nachfolgend sind die Mittelwerte und Mediane für Likes, Views und Retweets und Replies (Kommentare) nach Fraktionen aufgelistet. Insgesamt erhalten die Abgeordneten der FDP-Fraktion – im Mittel – am wenigsten Likes und Retweets. Mit Blick auf die Views schneiden nur Abgeordnete der Linken bzw. des BSW noch schlechter ab. Da sich dieses Bild auch bei der Betrachtung der Mediane zeigt, wird der Durchschnitt durch einzelne Ausreißer (Strack-Zimmermann und Adler) sogar noch nach oben hin verzerrt. Aus diesem Grund wurde eine weitere Tabelle mit den Interaktionsstatistiken für alle FDP-Abgeordneten beigefügt.

3.2 Wie “toxisch” kommunizieren die FDP-MdB im Vergleich zu den anderen Fraktionen?

Um die Kommunikation der Bundestagsabgeordneten auf Twitter hinsichtlich ihrer Negativität zu analysieren, wurden sämtliche Tweets (exklusive Retweets) mithilfe des Jigsaw-Algorithmus analysiert. Jigsaw wird von einer Vielzahl von Medien sowie von Google zur Beurteilung und Analyse von Leserkommentaren eingesetzt. Obwohl die Analyse von Textdaten mit Methoden des maschinellen Lernens stets mit einer gewissen Fehlertoleranz behaftet ist, kann man hierüber ein aussagekräftiges Bild über die „Negativität/Toxizität” der verschiedenen Fraktionen gewinnen. Dies zeigt sich auch bei den nachfolgenden drei Balkendiagrammen, die die durchschnittliche Toxizität, die schwere Toxizität und Beleidigungen nach Fraktionen abbilden. Dabei sind die jeweiligen Definitionen, die von Jigsaw zur Klassifizierung eines Tweets herangezogen werden, über den Balkendiagrammen aufgeführt. Bei der Interpretation der Wahrscheinlichkeiten muss darauf hingewiesen werden, dass Jigsaw eine sehr hohe Sensitivität besitzt und deshalb auf Twitter, einem Medium, das stark durch negative Kommunikation geprägt ist, überdurchschnittlich hohe Werte ausweist. Diese Werte sollten deshalb v. a. als Tendenzwerte interpretiert werden.

Während die Abgeordneten der AfD mit großem Abstand am „toxischsten” kommunizieren, weisen Abgeordnete der FDP – im Mittel – die am wenigsten toxische Kommunikation auf. Dies gilt über alle drei Kategorien hinweg. Des Weiteren zeigt sich, dass die politischen Ränder in Summe deutlich negativer und „rüder” twittern, als dies – im Mittel – bei den demokratischen Parteien der Mitte der Fall ist. Jedoch stechen einzelne Abgeordnete der Regierungsfraktionen sowie der Unionsparteien als Ausreißer hervor, was deren Mittelwerte tendenziell nach oben verzerrt. In der Tat neigen nur sehr wenige Abgeordnete der FDP zu persönlichen Angriffen und der Abwertung des politischen Mitbewerbers. Auch die Sprache der FDP-Abgeordneten ist deutlich weniger mit moralisch-emotionalen Appellen aufgeladen, als dies bei anderen Parteien der Fall ist (Quelle: Läpple, 2023).

3.3 Welche Medien konsumieren und teilen die FDP-Bundestagsabgeordneten?

Über das Twitterverhalten der Abgeordneten lassen sich auch Rückschlüsse auf den Medienkonsum ziehen. Nachfolgend sind die populärsten Medien der Fraktionen aufgelistet. Es zeigt sich eine hohe Übereinstimmung zwischen den drei linken Parteien SPD, Grüne und DieLinke/BSW. Die höchste Übereinstimmung haben FDP-MdB mit der CDU/CSU. Einzig die AfD unterscheidet sich stark von den restlichen Fraktionen durch den Fokus auf alternative (neu-)rechte Medienmarken.

3.4 Mediennetzwerk-Analyse FDP-Fraktion

Neben einem Überblick über die meistgeteilten Medien der einzelnen Fraktionen lassen sich auch tiefere Erkenntnisse durch Netzwerkanalysen gewinnen. Hierfür wurden exemplarisch zwei Netzwerkgrafiken (FDP-Abgeordnete und Mediensystem insgesamt) konstruiert, die nicht nur die Bedeutung der einzelnen Medien (Größe der Kreise), sondern auch die Beziehung zwischen den Medien abbilden. Je näher die Kreise zueinander stehen, umso häufiger wurden diese Medien von einzelnen Abgeordneten im Zeitraum einer Woche geteilt. Diese Methode wurde vom Berkman Klein Center in Harvard entwickelt, um Mediensystemanalysen im Zuge der US-Wahl(en) durchzuführen. Insgesamt ist das deutsche Mediensystem im internationalen Vergleich bisher nur schwach polarisiert und durch starke Medienmarken gekennzeichnet, deren politische Verortung als mittig bzw. Mitte-links/Mitte-rechts gilt. Dies zeigen u. a. Studien des PEW Research Centers, des Reuters Institute und der Universität Mainz. Jedoch hat sich in den letzten Jahren zunehmend ein alternatives Medienspektrum etabliert, das auch in das Informationsökosystem der FDP-Wählerschaft hineinreicht. Insbesondere die COVID-19-Pandemie hat die Disruption der Medienlandschaft massiv beschleunigt. Dabei kam es (a) zu einer vertikalen Ausdifferenzierung (reichweitenstarke Einzelindividuen vs. traditionelle Medienhäuser) sowie zu einer horizontalen Ausdifferenzierung (mehr Nischenmagazine, v. a. an den politischen Rändern). Am stärksten hat diese Entwicklung auf der politischen Rechten stattgefunden, wo es der radikalen Rechten gelungen ist, zunehmend eigene Narrative über Scharniermedien in reichweitenstarke Medien zu tragen, die v. a. die Wählerschaft der bürgerlichen Mitte-rechts Parteien FDP und CDU/CSU erreichen. 

Das „Medien-Ökosystem” der FDP-Bundestagsabgeordneten zeichnet sich dadurch aus, dass es von allen Parteien am heterogensten ist und keine überdeutliche „linke” bzw. „rechte” Signatur besitzt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Parteien links der Mitte, deren Netzwerke durch große Überschneidungen gekennzeichnet sind sowie die AfD, die zunehmend ein eigenes Medien-Ökosystem bespielt (z. B. Junge Freiheit, Tichys Einblick, Deutschlandkurier, Politikwelt), dessen Narrative jedoch durch „Scharniermedien” (BILD, NIUS, Focus) mittlerweile regelmäßig verstärkt werden (siehe Abbildung). Obwohl die höchste Überschneidung der FDP-MdB mit den MdB von CDU/CSU besteht, zeichnet sich die Verortung der FDP durch die mittige Positionierung aus. Hierdurch kommt es jedoch häufig zu konfligierenden Botschaften, da unterschiedliche Medien die Erfolge und Probleme der FDP mit unterschiedlichen Sichtweisen ins Fenster stellen. Diese „Spaltung” im Medienkonsum zeigt sich nicht nur bei den Abgeordneten der FDP, sondern lässt sich auch bei den Anhängern der FDP auf Twitter beobachten.

Die Netzwerkgrafik zum Mediensystem allgemein ist nach politischer Ausrichtung in sechs Stufen (stark-links, links, Mitte-links, Mitte-rechts, rechts, stark-rechts) coloriert. Diese wurde anhand des Verhältnisses berechnet, mit dem die Abgeordneten links der Mitte und rechts der Mitte die jeweiligen Medien geteilt haben. Je heller die Knoten (Kreise), umso moderater bzw. mittiger, je dunkler, desto stärker wird das jeweilige Medium von Abgeordneten rechts bzw. links der Mitte geteilt (dunkelrot „stark links”, dunkelblau „stark rechts”).

Insgesamt zeigt sich, dass eine asymmetrische Polarisierung des Mediensystems vorliegt. Diese Polarisierung erlaubt es Akteuren der radikalen Rechten, „Agenda-Setting” zu betreiben, während Mitte-links- und Mitte-rechts-Medien stark mit Aufklärung und Fact-Checking beschäftigt waren, dabei aber die Narrative von Medien wie u. a. der Jungen Freiheit, Tichys Einblick, die von der BILD und vom Focus verstärkt wurden, ebenfalls aufgreifen mussten. Am wirkungsvollsten gelingt dies mittlerweile NIUS, das sich als „Scharniermedium” zwischen dem traditionellen Mediensystem und dem (neu-)rechten alternativen Mediensystem angesiedelt hat.

4 Anhang

4.1 Ausblick: Weitere Social Media Plattformen

Neben X können prinzipiell auch weitere Social Media Plattformen analysiert werden. Die nachfolgenden zwei Abbildungen geben einen Beispielüberblick über wesentliche Statistiken auf TikTok. Dabei zeigt sich die digitale Dominanz der AfD auf der chinesischen Videoplattform.

4.2 Angebot: Ad hoc Reports

Neben reinen Social Media Analysen sind auch sogenannte ad hoc Reportings denkbar. Hierunter fällt z. B. die Analyse einzelner Akteure und Influencer auf unterschiedlichen Plattformen. Ein aktuelles Beispiel wäre z. B. der rechtslibertäre Podcast Hoss & Hopf, der in den letzten Wochen im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, nachdem der dazugehörige TikTok-Kanal von TikTok gesperrt wurde. Weitere Beispiele sind Akteure der sogenannten »Manosphere« sowie »Finanzinfluencer«, die seit der Coronapandemie aktive neurechte und AfD-nahe Narrative verbreiten (z. B. Kolja Barghoorn – Aktien mit Kopf).

Ein weiteres Beispiel wäre z. B. eine Analyse der Reichweite und der Inhalte der neuen Medienplattform NIUS. NIUS hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, den medialen Zwischenraum zwischen den bürgerlichen Parteien FDP, CDU/CSU und rechtspopulistischer bis rechtsextremer Akteure zu füllen. Aufgrund der enormen plattformübergreifenden Reichweite des „Team Reichelt” gelingt es diesem aktivistischen Medienunternehmen, Narrative zu verstärken, das Agenda-Setting mitzuprägen und durch Kampagnen Aufmerksamkeit zu erzeugen.

TikTok, Telegram, YoutTube, Facebook sowie die Whatsapp- und Telegram-Gruppen) mit den Inhalten der NIUS-Homepage ergänzt werden, um ein vollständigeres Bild zu erhalten. Ein Erkenntnisgewinn dürfte insbesondere durch die Analyse der Kommentare, der Inhalte und der Gäste, speziell mit Blick auf die Überschneidungen mit der FDP, bestehen. Eine ähnliche Analyse könnte auch für Tichys Einblick durchgeführt werden. Denkbar wäre auch eine umfassende Medienanalyse, die den Status Quo der dt. Medienlandschaft auf Social Media abbildet und die Lupe auf die Agenda-Setting-Power des rapide wachsenden „alternativen rechten Medienspektrums” richtet. Eine solche Analyse würde jedoch den Rahmen eines Sonderreports übersteigen und wäre ein eigenes Produkt.

Die Netzwerkanalyse zeigt das Retweet-Netzwerk aller journalistischen NIUS-Mitarbeiter auf Twitter. Die Größe der „Nodes” (Knoten) wird durch die Anzahl der Retweets bestimmt, die die jeweiligen Akteure von den 14 Mitgliedern des „Team Reichelt” erhalten haben. Die unterschiedlichen Farben haben nur eine nachrangige Bedeutung und ergeben sich aus einer algorithmischen Clusterzuordnung, die zur Ermittlung von Communities genutzt wurde (die stark miteinander interagieren).

Das Netzwerk wurde auf Grundlage der Retweets der folgenden Accounts erstellt: jreichelt; niusde_; julius_boehm; stimmttalk; jsevincbasad; drumheadberlin; jannibal; ben_brechtken; emiliebrummel; sebastianvorb; whosthatgirlgio; schamonska; robszymoniak.